· 

Wellness für Singakademiker

...oder: Evensong in Meidling

Die Sänger sind ja bekannterweise ein etwas eigenartiges Volk. Wer immer schon einmal eine Horde von SängerInnen beim Einsingen beobachtet hat, weiß wovon ich rede. 

(Und da sage ich noch kein Wort von Menschen, die zehn Tage lang eingepfercht in mittelalterlich anmutenden Kämmerchen schlafen, um von Tagesanbruch an bis in die Nacht hinein zu singen - unterbrochen nur von kurzen Essenspausen (die auch bitter notwendig sind, will man solche Strapazen aushalten); in der Gluthitze des Sommers an den harten Klappsesseln festklebend, die Augen unverwandt auf den Maestro gerichtet, dessen Schmähungen geduldig ertragend, darauf gedrillt, dem kleinsten Wink seines kleinen Fingers sanglich zu folgen, nur um doch irgendwann im Laufe der Zeit ein leises Lächeln oder ein kurzes Wort des Lobes zu erhaschen; schlussendlich dann vom Schlafmangel und der Hitze ausgezehrt (zumindest vielleicht nicht gerade ausgedörrt, SängerInnen sind keine Kinder von Traurigkeit!) sich fünf Stunden lang in die heiße Konzertkirche stellend, unter der Hitze der Scheinwerfer spürend, wie sich die Schuhe langsam mit Schweiß füllen, der unter dem schwarzen Hemd den Rücken hinunterrinnt, Schulter an Schulter, Nase an Klavierauszug, die Noten vom Hintermann ständig im Genick verspürend (und das sind noch die bevorzugten Plätze. Ganz vorne steht man nämlich direkt am Schalltrichter der Tuba. Und die hinterste Reihe? Diejenigen, die nicht vom Wippen des Notenbüchleins am Hinterkopf mehr oder weniger taktvoll an die einstudierten Rhythmuswechsel erinnert werden? Tja, die haben die selige Ewigkeit im Nacken, stehen sie doch mit dem halben Absatz des Schuhes zwei Meter über dem Boden auf einem wackeligen Brett. Obwohl: Kann man sich einen schöneren Tod vorstellen, als mitten im Dies irae unter den blitzenden Blicken des Dirigenten mit einem Genickbruch zu den Himmlischen Gefilden aufzusteigen? Nein, den Tenor erwartet beileibe kein Fegefeuer!), nur um - zu singen - ? )*

Vom Sängervirus infizierte Menschen brauchen nicht viel; man steckt sie in einen von der Außenwelt abgeschotteten Raum, wirft ihnen ein paar Notenblätter hinein und stellt ihnen im Idealfall ein Klavier zur Verfügung, sonst tut´s auch eine Stimmgabel. Ausreichend Licht ist gut, ausreichend Flüssigkeit schadet nicht, welcher Art sei nun dahingestellt. Dann lässt man sie mit sich selbst alleine und stellt ihnen für das Ende des Tages eine Auftrittsmöglichkeit in Aussicht.

Und damit wären wir wieder bei der KSA und unserem letzten Projekt im Jänner 2019:

Wir waren eingeladen gemeinsam mit dem Singkreis der Pfarre Meidling einen Evensong zu gestalten. Diese Gottesdienstform ist im anglikanischen Raum weit verbreitet und vereint Vesper und Komplet in einer Andacht, ein durchgehender Abendgesang zu Ehren Gottes, unterbrochen nur von Lesung und Predigt, ein paar Fürbitten werden auch gesprochen. David Gomolla macht so etwas öfter, er ist Kirchenmusiker in dieser Kirche:

Kommt Euch bekannt vor? Ja, wir haben da schon gesungen (siehe: Advent, Zeit des Wartens. Ganze elf Sekunden!), Kirche zum Hl. Johannes Nepomuk in Wien-Meidling, elf Sekunden Nachhall.

Die angenehm warmen Farben täuschen, sie ist kalt wie jede andere Kirche ähnlicher Bauart. Aber die Atmosphäre wärmt und die Akustik ist phänomenal, so lässt es sich einen Tag lang hier aushalten :)

Wir treffen uns um 10 Uhr, quasi alle sind pünktlich, David empfängt uns herzlich. Wir gehen das Programm durch und proben unter Davids Führung die Psalmen, dann sind wir Singakademiker auf uns gestellt. Vera und Adrian können diesmal leider nicht dabei sein, dafür macht der Wuppie (Karins Bruder) im Bass mit und als Mezzosopranistin konnten wir die Gudrun gewinnen - im wahrsten Sinn des Wortes. (Kleine Kuriosität am Rande: Der Christian hat sich angeboten mitzumachen, so wie beim letzten Mal. Aber wir mussten ihm - leider - absagen, sonst wären wir gleich viele Tenöre gewesen wie Frauenstimmen im Ensemble :))

Wir müssen uns wieder an den Raum gewöhnen, die Aufstellung ist durch die Evensong-Choreographie quasi vorgegeben und so suchen wir als allererstes einen Platz für den Martin Prettenhofer, der uns als Pianist treu den Tag über begleitet, und das Klavier.

Letztendlich sitzt er dann so, dass wir einander zwar sehen und wir Sänger das Klavier hören können (zumindest solange niemand singt), er selber aber vom Klavier nichts hört; die Lautsprecher zum E-Piano sind nämlich zehn Meter weit weg hinter Grünzeug versteckt. Das ist aber egal, schließlich sieht er ja seine Finger auf den Tasten vor sich und weiß dadurch, wo er gerade ist, oder? Zum Glück haben wir die Unterlege-Kartons von zu Hause mitgenommen, so kann der Martin die Noten so ausbreiten, dass er kaum umblättern muss. Das Klavier hat keinen Notenständer und das Konstrukt aus zwei Pulten, das wir zum Notenauflegen verwenden, ist nicht sehr krisensicher. 

Nachdem wir diese Dinge also geklärt hatten, beginnt die eigentliche Probenarbeit, zuerst für die mehrstimmigen Stücke. Wuppie singt selten mit uns und die Gudrun hat erst einmal mit uns im Ensemble gesungen und alleine das Klavierpositionieren hat länger gedauert, als gerechnet, und so wird diese Probenphase wieder einmal ziemlich intensiv. Die Karin hat natürlich einen minutiösen Probenplan vorbereitet und hat auch das Zeug dazu, ihn durchzuziehen, kalt hin, dislozierte Grünzeuglautsprecher her.

Nach der Ensembleprobe beginnen die Proben für die Solos / Duette / Terzette, Karin singt aus dem Magnifikat von Bach "Et exsultavit" und "Quia respexit", Gudrun und Nikolaus "Et misericordia" und der Nikolaus "Deposuit". (Das Kuriose an dem Ganzen ist übrigens, dass der Martin diesmal geübt hat. Also so richtig, mit alleine am Klavier sitzen und diverse Stellen oft hintereinander spielen und das sind wir von ihm eher nicht so gewöhnt - offensichtlich ist das Bach-Magnifikat nicht wirklich einfach :)) Von Heinrich Schütz singen Karin, Gudrun und Georg "Herr, wann ich nur dich habe", auch schön!

 

 

Dann kommt die Mittagspause. Georg richtet die Aufnahme von den Proben so her, dass man sie sich anhören kann, ...

 

 

 

...was für die Karin unbedingt notwendig ist, weil wir sonst ja nicht wissen, wie es klingt. 

 

 

 

 

Daneben wird Pausenbrot gegessen (keine Wellness ohne einen Hauch von Asien), ...

 

 

 

...Tee getrunken (über den Turbo Tee hat sich keiner drübergetraut), ...

 

 

 

...Geburtstag gefeiert (wer braucht schon den trauten Kreis der Familie, wenn er stattdessen einen Tag lang stehend in einer kalten Kirche verbringen kann) (Kurios? Nein, das ist für Singinfizierte eher normal..), 

 

 

 

...und wir alle nutzen die Gelegenheit, uns den vielen Text möglichst nah und lesbar an die Noten zu schreiben.

 

 

...äh ja. Es reicht ja, wenn's der lesen kann, der´s geschrieben hat.

 

Die Susi hat in der Küche übrigens den passenden Wasserkocher zu ihrem - von zu Hause mitgebrachten - Teebecher gefunden, ist das nicht kurios? (Vielleicht sogar Vorsehung...)

Unsere Gastgeber stellen uns für die Pausen dankenswerterweise einen freundlichen und warm geheizten Saal zur Verfügung, wo Kaffee, Tee und Kekse  vorbereitet sind. Offenbar nutzen diesen Saal viele verschiedene Menschen und Gruppen, daher sind Saal und dazugehörige Küche mit vielen Hinweisschildern versehen, damit alles funktioniert:

 

 

Was sich in diesem Kasten verbirgt, haben wir nicht herausgefunden, er war versperrt. Wer immer darin wohnt, scheint sehr zufrieden damit zu sein. 

Sobald die Karin fertig ist, geht es mit neuen Erkenntnissen in die Nachmittagsprobe, bevor dann der Singkreis und David zur Generalprobe kommen.

Und dann feiern wir unseren ersten Evensong, eines geht nahtlos ins andere über, Benedikt Hansen begleitet die Feier an der Orgel. Hört er zu spielen auf, fängt Martin am Klavier an, im Singen wechseln sich die KSA, die Schola und die Gemeinde nahtlos ab und der Zelebrant predigt in bemerkenswerten Worten davon, auch die weniger Lauten und Schönen und Tollen in gleicher Weise zu bewundern, sind sie doch - wie in der Lesung gehört - Glieder des einen Leibes, und wem steht es schon zu, zu sagen: Was schert mich meine Milz, solange ich ein Herz habe?

Die Ernte am Ende dieses intensiven Tages ist reich: Die Feier dauert eine gute Stunde, ist erbauend und erhebend und die Stimmung ist hervorragend. Und das ist das Phänomenale an der Intensiv-Singerei: Es fordert einen körperlich und geistig voll, man steht den halben Tag und meistens ist es entweder zu warm oder zu kalt; aber am Ende des Tages schwingt der ganze Körper und auch die ganze Seele, man ist angenehm müde und man hat immer das Gefühl, gemeinsam mit Gleichgesinnten etwas Großes gemacht zu haben.

Und es schwingt nach, die Harmonien bleiben in Körper und Seele erhalten und davon zehrt man die nächste Zeit über, auch wenn einen der Alltag dann schon wieder eingeholt hat. Das ist Wellness pur, alles rundum vergessen, gemeinsam atmen, schwingen und klingen, gemeinsam nach Höherem streben, um dann wieder besser am Boden stehenbleiben zu können. Kurios? Nein, das ist ganz normal.

Wir bedanken uns bei David Gomolla und dem Singkreis der Pfarre Meidling für die Einladung und die freundliche Aufnahme, es war ein Erlebnis und eine Freude!

(: Georg :)

 

*Nein, nicht nur um zu singen. Stellt Euch vor: 150 SängerInnen, 65 OrchestermusikerInnen, ein großes Werk. Und Ihr seid mittendrin; die Musik schwillt zwischendurch so laut an, dass die Leute von draußen hereinkommen und schauen, welch ein Weltuntergang da stattfindet (wir sprechen zum Beispiel vom Verdi-Requiem), und nach dem letzten Ton zeigt keiner durch eifrigstes Applaudieren, dass er weiß, dass es jetzt aus ist, sondern es ist noch ein, zwei Minuten lang absolut ruhig, bevor dann einer wagt zu klatschen - wer dazu beigetragen hat, vergisst jeden Schweißtropfen, jeden wehen Fuß und überhaupt alles rundum. Das, liebe Freunde, ist Wellness :)

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Wuppie (Montag, 11 Februar 2019 22:04)

    So, jetzt bin ich durch ;-P.
    Gratulation zu dieser inspirierten bis genialen Dokumentation!
    Auch freue mich sehr, dabei gewesen sein gedurft zu haben.
    Es war für mich wirklich toll euch auf diese Weise einmal zu "spüren" und mich zu erinnern, wie das ist, wenn die Ambition etwas zu machen mehr Wirkung (auch speziell auf das "Publikum") hat als "bloße Professionalität" - ich hoffe - ihr versteht, was ich meine/brabbel ;-).

  • #2

    Georg (Montag, 11 Februar 2019 22:34)

    LOL - dabei weißt Du gar nicht, welches Foto da im letzten Moment nicht online gestellt wurde.. :))
    Danke für die Blumen - und für´s Mitsingen!

  • #3

    Wuppie (Mittwoch, 13 Februar 2019 16:48)

    Soll das eine Drohung sein??
    ;-)